Donnerstag, 26. November 2009

Reiche wollen mehr Steuern zahlen

Berlin Hermsdorf ist kein Ort für Revolutionen. Sanft schwingt sich die Hauptstraße durch den kleinen Ort vor den Toren der Hauptstadt, zwischen alten Kastanien stehen Jugendstilvillen neben Glas- und Karbon-Wohnkuben. Davor: große teure Autos. Wer hier lebt, gehört zu denen, die etwas erreicht haben - oder geerbt. Und doch wohnt in einer der Jugendstilvillen einer, der fast Revolutionäres fordert: Dieter Lehmkuhl, 66, Arzt im Ruhestand, Brauerei-Erbe. Er will, dass Leute wie er mehr Steuern zahlen. Viel mehr. Dieter Lehmkuhl (Foto: dpa)Bildunterschrift: Großansicht des Bildes mit der Bildunterschrift: Lehmkuhl hat in den letzten Jahren immer weniger Steuern gezahlt - das findet er ungerecht

Eine Vermögensabgabe von fünf Prozent sollten reiche Leute seiner Meinung nach zahlen - befristet auf zwei Jahre, um die Folgen der Finanz- und Wirtschaftskrise zu lindern. Außerdem setzt sich Lehmkuhl für die dauerhafte Einführung einer Vermögenssteuer ein. "Mit dem Geld sollen Zukunftsinvestitionen wie etwa Bildung getätigt werden. Die, die vom Wirtschaftsboom der letzten Jahre besonders stark profitiert haben, sollten sich jetzt auch an der Lösung der Krise beteiligen."

100 Milliarden auf einen Schlag
Zahlen soll jeder, der mehr als 500.000 auf dem Konto hat, und weil das in Deutschland nicht Wenige sind, würde Lehmkuhls Vermögensabgabe auf einen Schlag 100 Milliarden Euro in den Haushalt spülen. Durch die Vermögenssteuer kämen jedes Jahr zusätzlich 14 Milliarden rein. Gemeinsam mit ein paar reichen Freunden und Bekannten hat Dieter Lehmkuhl im Mai den Appell für eine Vermögensabgabe ins Leben gerufen. Mittlerweile sind 46 Vermögende dabei. Wie Lehmkuhl halten sie das jetzige Steuersystem für ungerecht und unsolidarisch. "Es ist so, dass die Einnahmen bei Kapitalvermögen bei mir in acht Jahren um das Doppelte gestiegen sind, und die Steuerlast ist um das Doppelte gesunken." In den vergangenen 20 Jahren hat es eine enorme Umverteilung gegeben, sagt Lehmkuhl – von unten nach oben. "In keinem anderen westlichen Land ist die Zahl der Millionäre so gestiegen wie bei uns."

Umverteilung von unten nach oben
Die Statistiken geben ihm recht: Heute besitzen die oberen zehn Prozent in Deutschland 61 Prozent des Vermögens. Die Einkommen der Angestellten und Arbeiter dagegen stagnieren oder sind gesunken. Eine Entwicklung, die sich an verschiedenen Gesetzen festmachen lässt: Beim Einkommen wurde der Spitzensteuersatz gesenkt, von damals 53 auf heute 43, Prozent, für Kapitaleinkünfte ist weniger Geld fällig und auch Erben müssen heute weniger zahlen."Auf der anderen Seite ist inzwischen ein Drittel der erwerbsfähigen Bevölkerung entweder arbeitslos, lebt von Hartz 4 oder ist im Niedriglohnsektor, macht Minijobs oder Leiharbeit", sagt Lehmkuhl. Armut ist heute kein Randphänomen der Gesellschaft mehr, sondern in der Mitte angekommen.

"Geld arbeitet nicht"
Sein Leben lang hat Lehmkuhl von seiner Arbeit als Arzt gelebt, erzählt der groß gewachsene, schlanke Mann mit dem kurzen schlohweißen Haar. Dann wurde er auf einen Schlag reich: Er erbte eine kleine Traditionsbrauerei in Dortmund. Lehmkuhl kommt aus der 68er-Bewegung, hat sich Jahrzehnte lang gegen Atomkrieg und Armut in Afrika engagiert – mit dem Erbe kam er anfangs nicht so richtig klar. "Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil ich gelernt habe: Geld arbeitet nicht." Für ihn ist ein Erbe etwas, das einem unverdient in den Schoß fällt, keine Folge eigener Leistungen. "Das ist eine Hängematte, in der man automatisch Geld verdient, und das finde ich eigentlich nicht korrekt."