Samstag, 7. Juni 2008

Inside Wall Street ; Der nächste Präsident

Für die amerikanischen Demokraten ist ein mühsamer Vorwahlkampf zu Ende gegangen; seit Dienstagabend steht Barack Obama als Präsidentschaftskandidat seiner Partei fest. Jetzt beginnt der Wahlkampf gegen den Republikaner John McCain, und auch die Wall Street schaut genau hin - vor allem bei Wirtschaftsthemen. Für die meisten Amerikaner ist zur Zeit die Wirtschaft das wichtigste Thema, wenn es um die Wahl des nächsten Präsidenten geht. Angesichts eines schwachen Dollars, des hohen Öl- und Benzinpreises, eines schwachen Arbeitsmarktes und fallender Häuserpreise sind für die meisten Wähler zwischen New York und Kalifornien alle anderen Themen zweitrangig. Umso detaillierter werden die Kandidaten in ihren Konzepten zu Steuerpolitik, Sozial- und Krankenversicherung, Da gibt es jede Menge Unterschiede, denn einig sind sich die Kandidaten nur in einem: Es muss sich etwas ändern im Land. Angesichts der Unzufriedenheit, die die Amerikaner in aktuellen Umfragen ausdrücken, ist das eine offensichtliche Strategie. Nur in welche Richtung verändert werden soll, sehen die Senatoren aus Arizona und Illinois anders.

John McCain, der es zur Zeit schwer hat, sich vom unbeliebten Präsidenten George W. Bush zu distanzieren ohne damit die konservative Basis seiner Partei zu verschrecken, will etwa an den Steuererleichterungen festhalten, mit denen der Amtsinhaber Großverdienern und Unternehmen in der Hoffnung entgegengekommen ist, die Wirtschaft anzukurbeln. Barack Obama hingegen will einen Großteil dieser Steuererleichterungen streichen, vor allem für Bürger mit einem Einkommen von mehr als 250.000 Dollar. Neue Steuersenkungen will er hingegen dem Mittelstand bieten. Ein Dauerproblem in Amerika ist die staatliche Sozialversicherung, denn der "Social Security" geht das Geld aus. McCain will das Problem lösen, in dem Sozialleistungen gekürzt werden; Obama tritt hingegen für Steueranhebungen ein, um Sozialleistungen erhalten zu können. Von den höheren Abgaben wären die höheren Einkommensklassen belastet, die nach aktuellem Stand größtenteils einen niedrigeren Steuersatz zahlen als Unter- und Mittelschicht.

Unterschiedliche Ansichten gibt es auch über die Gesundheits- und Vorsorgepolitik. Der Republikaner McCain will mehr Amerikaner dazu drängen, sich selbst zu versichern. Die Konkurrenz in der Branche würde automatisch zu fairen Preisen und Konditionen führen. Daran glaubt der Demokrat Obama nicht: Er fordert eine Pflichtversicherung für alle Amerikaner über den Arbeitgeber, die von staatlicher Seite reguliert würde. Deutliche Unterschiede zeigen die Kandidaten auch in der Energiepolitik. Angesichts hoher Öl- und Benzinpreise will John McCain einen "Gas Tax Holiday" einführen. Danach würde über den Sommer hinweg die Benzinsteuer ausgesetzt, um Autofahrer an der Tankstelle zu entlasten. Für dieses Konzept trat auch Hillary Clinton ein, doch Barack Obama hielt dagegen - er warf seinen Konkurrenten "Anbiederung an den Wähler" vor. Aus gutem Grund: Volkswirte glauben, dass die Maßnahme den Staat viel Geld kosten würde, während der Nutzen für die Verbraucher im Pfennig-Bereich läge. Eine langfristige Lösung der Energiekrise sieht Obama in der Entwicklung und Förderung alternativer Quellen.

Ein Dauerproblem für die amerikanische Konjunktur ist das Billionendefizit, das die Bush-Regierung in den letzten Jahren in den Haushalt gerammt hat. Die USA zu entschulden hat für beide Präsidentschaftskandidaten höchste Priorität; die Konzepte sind unterschiedlich: John McCain möchte die Ausgaben des Staates in nicht essentielle Bereichen für ein Jahr einfrieren, um deren Notwendigkeit zu prüfen. Obama hingegen reicht eine Einschränkung, die der Regierung die Disziplin vergangener Zeiten auferlegen würde. Das Konzept heißt "pay-go" - zahle am Ausgang. Damit dürfte der Kongress neue Programme nur beschließen, wenn man die Finanzierung durch Kürzung bei anderen Programmen oder die Einnahme neuer Gelder, sprich: Steuern, sichern könnte. In Bezug auf die Steuerpolitik dürfte John McCain an der Wall Street der beliebtere Kandidat sein; beim Volk allerdings stößt Barack Obama auf offene Ohren. In Sachen Haushalt scheint Obama auch aus Sicht der Wall Street die besseren Konzepte zu haben. Damit werden die nächsten fünf Monate spannend. Der direkte Schlagabtausch der beiden Senatoren könnte übrigens in der nächsten Woche ausgerechnet an der Wall Street beginnen: McCain und Obama denken über eine gemeinsame Debatten-Tour durch Amerika nach, die in der "Federal Hall" beginnen soll. In dem historischen Gebäude gegenüber der New York Stock Exchange wurde einst George Washington als erster Präsident der Vereinigten Staaten vereidigt, seither ist das Haus ein Museum und Symbol für die Demokratie in den USA.